Das Lager
 

Arbeitsvorlage Oktober 1980 von Heinz Sierian

DAS LAGER ROLLWALD  IN  NIEDER - RODEN

(amtlich auch: Gefangenenlager Rodgau)

 

Das Lager Rollwald entstand im Frühjahr 1938 als Folge der Gründung der "Teilnehmergesellschaft Rodgau". Dieser Verband hatte es sich zur Aufgabe gestellt, die Feldbereinigung in fast 40 Gemeinden der Kreise Dieburg und Offenbach nach den Vorstellungen der Landesplanung zu realisieren. Als Grundgedanke dieses Vorhabens gehörte offenbar dazu der Plan, sich zu seiner Durchführung Strafgefangener aus dem ganzen damaligen Reichsgebiet zu bedienen. Anders wäre ein solches Projekt wohl in dieser Zeit kaum noch zu verwirklichen gewesen, denn in 1938 - also 1 Jahr vor Beginn des 2.Weltkrieges - gab es in Deutschland schon kein überschüssiges Arbeitskräftepotential mehr, auf das man für diesen Zweck hätte zurückgreifen können. Dazu kam, dass für die Arbeiten zur Feldbereinigung keine gelernten Fachkräfte erforderlich waren, dass vielmehr jeder dazu herangezogen werden konnte, dem der Umgang mit Schaufel und Spitzhacke beizubringen war.

Auf die geographische Lage unserer Gemeinde ist es zurückzuführen, dass Nieder-Roden als Mittelpunkt des Planungsgebietes Offenbach/ Dieburg zum Standort des Arbeitslagers bestimmt wurde.

Zu diesem Zwecke wurden zunächst einmal - trotz der Proteste der Ge­meinde Nieder-Roden - 200 Morgen Kiefernwald abgeholzt und gerodet. Der Ertrag, aus dem Holzverkauf - es soll sich um 750 000.- Reichsmark gehandelt haben - kam auf ein Sperrkonto der Gemeinde, fror dort nach dem Kriege ein und verfiel dann der Währungsreform. Nach dem Kriege ließ die Gemeinde über den Verlust an wertvollem Wald- und Baumbestand ein forstamtliches Gutachten anfertigen, in dem von einem Gesamtschaden von 1.9 Millionen Deutsche Mark die Rede sein soll. Eine Wiedergutmachung hat es nach meiner Kenntnis für die Gemeinde nie gegeben.

Auf dem gerodeten Gelände wurden zunächst 16 große Holzbaracken ange­legt, die später auf 24 Stück anwuchsen. In ihnen waren die Unter­kunftsräume der Gefangenen sowie Küche, Speisesäle, Krankenrevier u.a. untergebracht. Es gab auch einen Massivbau mit Einzelzellen für die Exekution von Lagerstrafen.  Für das Wachpersonal wurden mehrere Einzelhäuser gebaut, und in Benutzung genommen.

In dem Lager sollen schätzungsweise 1 500 Gefangene und 200 Mann Wachpersonal als ständige Belegung vorhanden gewesen sein. Die im Lager inhaftierten  Gefangenen stammten aus allen Teile Deutschlands und der besetzten Gebiete. Die Gefangenen kamen zum Arbeitseinsatz in Nieder-Roden und seiner näheren und weiteren Umgebungen, wohin sie, wenn die Einsatzorte für einen Fußmarsch zu weit

Waren,  mit Lastkraftwagen transportiert  wurden. Es wurden Drainage­rohre verlegt, Bach- und Flussufer befestigt, begradigt oder verändert, Wege angelegt, Anbauflächen hergerichtet oder verbessert.

Aus einem Rundbrief des Reichministeriums der  Justiz vom 22. Juni 1938 (unterzeichnet übrigens von dem berühmt-berüchtigten Ankläger am Volksgerichtshof Roland Freisler), der an alle Generalstaatsanwälte ging, erfahren wir, dass das Lager Rollwald seit April 1938 "in Betrieb" war, dass sich um diese Zeit dort bereits 500 Gefangene befanden und das an einen Ausbau mit einer Belegungsfähigkeit für

Etwa 3 500 Gefangene gedacht war. In dem Rundbrief wird weiterhin davon gesprochen, dass im Lauf des Jahres  1938 noch eine größere Anzahl Wohngebäude „für die im Lager tätigen und demnächst zum Einsatz kommenden Vollzugsbeamten“ erstellt werden soll, wofür Strafgefangene benötigt werden, die als Maurerhelfer angelernt werden können oder von Beruf Bauhandwerker sind. In einer anhängenden Aufstellung werden dann sogleich zahlenmäßig die Anforderungen auf die 25 Generalstaatsanwaltschaften verteilt: So soll z.B. Berlin 7 Gefangene abstellen, die gelernte Bauarbeiter und 14 Gefangene, die angelernte Helfer sind. Bei Darmstadt sind es 1 und 3, bei Dresden 5 und 10, so dass auf diesem Wege schließlich 90 gelernte Maurer und 190 Bauhilfsarbeiter aus anderen Gefängnissen des deutschen Reichsgebietes in das Lager Rollwald verlegt werden sollten. Ob das genau so ablief, wie es papiermässig angeordnet war, muss noch erforscht werden. - In dieser Anordnung des Justizministeriums vom 22.Juni 1938  gibt es noch einige Aus­ und Durchführungsanweisungen. Es sollen nur „Gefängnisgefangene" ­ (also wohl keine Zuchthausinsassen) zur Überführung ausgewählt werden, aber keine politischen Gefangen, von denen eine aktive Betätigung im Lager zu befürchten ist.

Durch mehrere Presseveröffentlichungen im Sommer 1980 wurde bekannt, dass auch der SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Erler (verstorben 1967) in den Jahren 1940/41 Gefangener,  im Lager Rollwald war. Neben dem Hinweis auf die Überführung von politischen Gefangenen wie wir ihn aus dem  oben zitierten Rundbrief des Justizministeriums vom 22. Juni 1938 entnehmen,  ist der Aufenthalt Fritz Erlers ein weiterer Beweis dafür, dass im Lager Rollwald auch politische  Gefangenen festgesetzt waren, denn Erler wurde am 15. September 1939 vom Volksgerichtshof Berlin wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 10 Jahren Zuchthaus verurteilt.  

Anmerkung (ost/2010): Der in der fraglichen Passage blau hinterlegte Original-Text von Heinz Sierian entspricht dem Wissensstand von Oktober 1980 und basiert auf einer Verwechselung. Da dies immer wieder zu Missverständ-nissen Anlass gibt, hier eine Richtigstellung:

Möglicherweise schon in den Presseveröffentlichungen wurde Rollwald mit Rodgau gleichgesetzt.
Fritz Erler war zwar Gefangener im Lager Rodgau, aber nicht in Rollwald. Zu den Gefangenenlagern Rodgau, die dem Generalstaatsanwalt in Darmstadt unterstanden und zentral von Dieburg verwaltet wurden, gehörten die drei Stammlager: Rodgau I (Dieburg - wo Fritz Erler inhaftiert war), Rodgau II (Rollwald) und Rodgau III (Eich).

Dass im übrigen nicht nur Reichsdeutsche im Lager Rollwald einsaßen, ergibt sich aus einer Auskunft des Internationalen Suchdienstes in Arolsen vom 3. Juni 1980. Danach hat es dort auch Gefangene belgischer, französischer, luxemburgischer und norwegischer Staatsangehörigkeit gegeben. Zu weiteren Auskünften findet sich aber der Internationale Suchdienst nicht bereit, weil es sich bei den sonstigen Unterlagen „zum größten Teil um personenbezogenen Archivalien (handelt). Die im Interesse des Schutzes der Persönlichkeitsrechte nicht eingesehen werden können sowie um Dokumente, die nicht der Verfügungsgewalt des Internationalen Suchdienstes unterstehen“.

Was diese letzte Formulierung auch immer bedeuten mag, sie lässt jedenfalls erkennen, dass bei dieser Stelle noch Archivmaterial lagert.

Weitere Informationen sind auch aus dem Pfarrbuch der katholischen Kirchengemeinde Nieder-Roden zu beziehen, in das der damals amtierende Pfarrer Eintragung über das Lager Rollwald gemacht hat, auf jeden Fall über Sterbefälle. Die Toten sollen anfangs auf dem Friedhof in Nieder-Roden beigesetzt worden sein, später hat es dann einen lagereigenen Friedhof gegeben, auf dem über 100 Tote beigesetzt worden sein sollen. In den ersten Jahren sollen die Todesfälle nicht von besonderer Auffälligkeit gewesen sein, was die Anzahl anlangt. Ab 1944 stieg dann aber die Sterblichkeit merkbar an, sicher auch eine Folge der sich allgemein verschlechternden Ernährungslage im 5. Kriegsjahr.

 

Quellen- und Literaturverzeichnis

 

Schreiben des Reichministers der Justiz vom 22. Juni 1938, 6. Juni 1939 und 5. August 1939

Schriftliche Auskunft des Internationalen Suchdienstes, Arolsen, vom 3. Juni 1980

Festschrift des Schützenclubs Gamsbock 1964; Die Vorgeschichte Rollwalds (Karl Müller)

Dieburger Anzeigen 5/6 1955; Die Rollwald-Siedlung (Verfasser hm)

Dieburger Anzeiger  25. Juni 1980: Von Dieburg ins Godesberger Archiv