Aufsatz von Karl Müller
 

"Die Vorgeschichte Rollwalds"
aus der Festschrift zum 10jährigen Bestehen des Schützenclubs "Gamsbock" Rollwald e.V. - August 1964

 


Mit der Gründung der Teilnehmergesellschaft Rodgau im Jahre 1938 wurde gleichzeitig der Grundstein für die Siedlung Rollwald gelegt. Diese Gemeinschaft hatte die Aufgabe, die Feldbereinigung in fast 40 Gemeinden der Kreise Dieburg und Offenbach nach einer bestimmten Landesplanung durchzuführen. Die Arbeiten sollten von Strafgefangenen ausgeführt werden, für deren Unterbringung ein Gefangenenlager errichtet werden musste. Ursprünglich sollte dieses Lager in Dietzenbach entstehen, da aber Nieder-Roden im Mittelpunkt des obengenannten Aufgabenbereichs lag, fiel die Wahl auf unseren Ort. Nun lag etwa 2 km von Nieder-Roden entfernt der „Rollwald", der aus etwa 220 Morgen Kiefernwald mit vierzigjährigem Buchenunterwuchs bestand. Unter der durchgehenden Hochspannung waren Fichten als Christbaumzucht angelegt.

Der günstigen geographischen Lage wegen wurde dieser wertvolle Waldbestand auf Anordnung des Ministeriums für Arbeit und Wirtschaft in Hessen abgeholzt. Alle Proteste des damaligen Bürgermeisters Gotta blieben erfolglos. Ohne die Gemeinde Nieder-Roden davon in Kenntnis zu setzen, wurde mit dem Abhieb begonnen. Dadurch erwuchs der Gemeinde nach forstamtlicher Berechnung, die der jetzige Bürgermeister Weyland hat durchführen lassen ein Schaden von 1,9 Millionen D-Mark.

Nachdem der Wald abgeholzt war, wurde ein Barackenlager errichtet, das durch einen vierfachen, drei Meter hohen Stacheldrahtzaun gesichert wurde.  So entstanden nach und nach 24 große Holzbaracken, in denen Küche, Lazarett, Speisesäle sowie Schlafsäle für die Gefangenen vorhanden waren. Für die Beamten (Wachpersonal) wurden eigens Einfamilienhäuser errichtet. Diese Häuser stehen in dem Geviert Lagerstraf3e, Waldstraße, Am Rollwald, südwestlich abgegrenzt durch den holzverarbeitenden Betrieb.

Die Zahl der Strafgefangenen wuchs enorm. Innerhalb kurzer Zeit war die Zahl 1 500 erreicht.

Für Vergehen der Strafgefangenen innerhalb des Lagerbereichs, zum Beispiel Fluchtversuch, Kameradschaftsdiebstahl etc., wurde ein Massivbau mit Einzelzellen errichtet. Dieser Bau wurde später von einigen Privatpersonen gekauft und zu Wohnungen ausgebaut. Hier sind u. a. auch eine Gastwirtschaft, die Post und die Filiale der Kreissparkasse untergebracht.

Der Haupteingang zu dem Strafgefangenenlager führte durch die heutige Straße „Am Kreuzberg". Die in dem Lager untergebrachten Strafgefangenen stammten aus allen Gebieten Deutschlands, ja es waren sogar viele Ausländer darunter. Die Strafgefangenen mussten Drainagerohre zur Entwässerung dieses ziemlich versumpften Gebietes legen, ebenso wurden sie zur Regulierung der Rodau in Nieder- und Ober-Roden eingesetzt.

Bis zum Jahre 1944 war die Sterblichkeit im Lager normal; erst als im Jahre 1944 ein Transport sehr geschwächter alter Leute eintraf, wuchs die Sterblichkeit sehr an. Die Toten wurden anfangs in der Gemeinde Nieder-Roden beigesetzt, später errichtete man in Rollwald selbst einen Friedhof, auf dem 114 Mann beerdigt wurden. Von den Toten wurden inzwischen einige exhumiert und in ihre Heimat überführt.

Auf dem Kahlschlag des Rollwaldes entstanden auch zwei Erbhöfe mit je 120 Morgen Feld. Hier wurden verschiedene Kunstdünger ausprobiert, die die IG-Farben kostenlos für Versuchszwecke zur Verfügung stellte.

Jenseits der Rodau sollten weitere vier Erbhöfe entstehen, zu deren Errichtung es infolge der sich überstürzenden Kriegsereignisse nicht mehr kam. Unter Bürgermeister Schüler wurde mit der Aufforstung der für die Erbhöfe bestimmten und bereits abgeholzten Flächen begonnen; diese Arbeiten wurden unter Bürgermeister Weyland beendet.

Als am 26. 3. 1945 die Amerikaner in Nieder-Roden einzogen, wurde auch das Lager Rollwald von ihnen besetzt. Die Tore des Lagers öffneten sich und alle Strafgefangenen wurden frei. Die Amerikaner benutzten jetzt die Baracken zur Aufbewahrung der Karteikarten, in denen die Namen deutscher Kriegsgefangener erfasst waren, die in alliierte Kriegsgefangenschaft gerieten. Hier wurden nach Kriegsende die Karteikarten von entlassenen deutschen Kriegsgefangenen und Leuten aus der näheren und weiteren Umgebung bearbeitet. Die Arbeiten wurden von Alliierten beaufsichtigt. Die Alliierten und die entlassenen deutschen Kriegsgefangenen, die z. T. lm Osten beheimatet und mit den Alliierten aus Frankreich mitgekommen waren, bewohnten die von dem Wachpersonal des Strafgefangenenlagers geräumten Einfamilienhäuser. lm Jahre 1950 wurden die Arbeiten der Alliierten in Rollwald beendet und die Wohnhäuser von ihnen freigegeben. Kurz darauf wurden diese Häuser durch die Teilnehmergesellschaft Rodgau an Privatpersonen verkauft; ebenso sind die beiden Erbhöfe in Privatbesitz übergegangen.

Zu bemerken wäre noch, dass dem Wachpersonal des Strafgefangenenlagers auch ein Schwimmbad zur Verfügung stand. Dieses Schwimmbad wurde später auch noch von Amerikanern und Deutschen benutzt. Das Schwimmbad wurde im Laufe der Jahre zugeschüttet, und heute steht an dieser Stelle der Rollwälder Kindergarten.

Noch dem Kriege war die Wohnungsnot im hiesigen Gebiet durch den Zuzug von Flüchtlingen sehr gross. ln Rollwald fanden viele Flüchtlinge, ja sogar auch Einheimische, ein neues Zuhause.
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